Worte in meiner Hand by Guinevere Glasfurd

Worte in meiner Hand by Guinevere Glasfurd

Autor:Guinevere Glasfurd [Glasfurd, Guinevere]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2015-08-07T16:00:00+00:00


Alphabet

EINE MENGE PAPIER traf für mich ein. Er hatte einen Brief beigefügt:

Utrecht, 15. Mai 1635

H.,

danke für Deine Skizzen. Ich wünschte, ich könnte so gut zeichnen wie Du – wie viel mehr erzählt mir doch ein gut ausgeführtes Bild als die Wörter, die benötigt werden, um es zu beschreiben. Ich beneide Dich darum – meine Zeichenkünste enttäuschen mich. Du hast das Papier gut genutzt, und das freut mich. Gern stelle ich Dir mehr zur Verfügung.

Ich mache Fortschritte in meiner Meteorologie und überarbeite vollständig meine kleine Abhandlung über Optik. Das alles erfordert meine Aufmerksamkeit, denn ich muss sagen, was ich meine, und ich muss es klar ausdrücken. Das Leben sollte viel mehr Gewissheit haben, wenn ich fertig bin. Ich hoffe zumindest, dass ich Zeit habe.

Zwei weitere Seiten folgten über das Leben in Utrecht, in der Hauptsache ging es um einen Streit mit einem namentlich nicht genannten älteren Kleriker. Er schrieb, er werde von allen Seiten unter Druck gesetzt – und müsse unbedingt einen Herausgeber finden, seine Illustrationen seien beklagenswert. Mersenne piesacke ihn, fuhr er fort.

Mit diesem Brief schlief ich nicht ein, anders als mit dem ersten, den er geschrieben hatte. Ich las ihn, faltete ihn und legte ihn zwischen die Seiten meiner Bibel, direkt neben die Notiz, die ich von Thomas hatte.

Ich unternahm längere Spaziergänge, hinaus an den Fluss, über die Brücke und in die Felder, bis ich von Deventer nur noch die Kirchtürme in der Ferne sah, verschwommen im Dunst. Ganze Wolken von Maifliegen stiegen bei jedem staubigen Schritt auf, die Welt war auf den Pfad unter meinen Füßen reduziert. Ich ging, als müsste ich irgendwohin, und kehrte erschöpft zu Frau Anholts zurück.

Ich versuchte, keinen Blick auf seine Briefe zu werfen – sie gaben mir das Gefühl, verloren zu haben, was mich hielt.

Dann ging ich nicht mehr bis zu den Feldern, und dann hörte ich gänzlich auf hinauszugehen.

Das Gras stand hoch.

Mein Bauch war so groß geworden, dass ich nicht wusste, wie ich entbunden werden sollte. Aus Geschichten, die meine Mutter mir erzählt hatte, mit denen sie von Nachbarn zurückgekommen war, wusste ich, dass die Schmerzen manchmal zu groß waren, manchmal konnte das Kind nicht befreit werden. Manchmal war es zu viel.

»Ist es schwer, Frau Anholts?«

»Beim ersten Mal, ja. Dir etwas anderes zu erzählen wäre nicht gut. Aber ich werde dir helfen.«

Sie hatte schon bei Entbindungen geholfen und wurde hin und wieder noch immer hinzugerufen.

»Hast du schon einen Namen für sie?«

Ich nickte, gab ihn aber nicht preis.

»Und wenn es ein Junge ist?«

»Es ist ein Mädchen!«

»Man kann nicht wissen, ob das Kind ein Mädchen oder ein Junge ist, Helena«, sagte sie. »Und wenn es ein Junge ist, braucht er einen Namen.«

»Es ist ein Mädchen! Das spüre ich einfach.« Als ich das sagte, kam ich mir zuerst dumm vor, dann war ich wütend darüber, dass ich mich dumm fühlte.

Seit Jahren war kein Baby im Haus gewesen, aber Frau Anholts gab mir, was sie hatte. Sie fertigte ein Kinderbett aus einer Kommode an und stellte es bereit. Sie gab mir den Inhalt einer kleinen Holzkiste



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